Zur Situation der Forschung an deutschen Universitäten in künstlerisch-wissenschaftlichen Fächern

Wenn man die Situation an deutschen oder auch anderen westlichen Universitäten beobachtet, stellt man fest, dass der Forschungsbegriff, so wie er bei Evaluationen, DFG und ähnlichen Einrichtungen eingesetzt wird, je nach Disziplin mehr oder weniger gut anwendbar ist. Forschungsanträge müssen bestimmte Merkmale besitzen, um als solche überhaupt wahrgenommen zu werden.

Die Bemühung um eine höhere Effizienz in Lehre und Forschung ist angesichts knapper Kassen in einer sich rasch wandelnden Bildungslandschaft verständlich und die Notwendigkeit von Reformen einsehbar. Was ich in der bisherigen Diskussion vermisse, ist eine Überprüfung des Forschungsbegriffs, wie er ungefragt weiterbenutzt wird. Das hat zur Folge, dass lediglich eine Verschärfung des Forschungsbegriffs eintritt, aber keine Neubewertung dessen, was Forschung ist oder sein kann.

Das Problem beginnt schon damit, dass der künstlerische Akt nicht auf Wiederholbarkeit angelegt ist, sondern auf Einmaligkeit. Damit liegt er im Bereich des Privaten auf einer emotionalen Ebene und dadurch auch im Bereich des Unwissenschaftlichen. Die Grenze zwischen genehmigungspflichtiger Nebentätigkeit und Basisforschung im ästhetischen Bereich ist fliessend. Aus steuerlicher Sicht muss in künstlerischen Tätigkeiten eine nachweisliche Gewinnabsicht bestehen, ansonsten gilt die Arbeit nicht als Forschung, die staatlicher Unterstützung bedarf, sondern als Hobby.

Eine Lehrperson an einer Hochschule, die die eigene künstlerische Tätigkeit einstellt und nur noch Lehre betreibt, ist kein Gewinn für die Lehre, sondern ist noch am ehesten mit dem Begriff einer prä-pensionierten, intellektuellen Vorruhestandssituation zu umschreiben. Man könnte sich mit diesem Dilemma abfinden und sich als Angehöriger einer aussterbenden Species bezeichnen lassen, wenn sich da nicht eine andere Paradoxie ins Blickfeld schieben würde. Ziel aller Evaluationen ist das Aufzeigen von Stärken und Schwächen, um auf der Basis der gesammelten Daten und Fakten Reformen einzuleiten. Als Richtgrössen gelten: Studienzeitverkürzung, Berufsfähigkeit, Anwendbarkeit von Forschung, Marktkonformität und ähnliches.

Wenn man sich dann allerdings im Bereich der Wirtschaft umsieht und schaut, welcher Typus von der Wirtschaft als zukunftsfähig bezeichnet wird, dann tauchen dort Begriffe auf, die eher aus dem Bereich des künstlerischen Tuns kommen als aus dem Bereich des wissenschaftlichen Vokabulars. Dort wird nach Kreativität, Innovationsfreude, emotionaler Intelligenz und sozialer Kompetenz gesucht. Von der sozialen Kompetenz einmal abgesehen, sind die anderen drei Begriffe Eckwerte in einem künstlerisch-wissenschaftlichen Fach. Diese Eckwerte lassen sich durch klassische wissenschaftliche Disziplinen wie Theorie, Analyse und Reflexion unterstützen, aber keineswegs erzeugen. Kreativität, Flexibilität usw. entstehen durch Handeln, Gestalten, Schulung der Wahrnehmung und die Fähigkeit der Selbstbeobachtung, also sich selbst gegenüber zum Beobachter zweiter Ordnung zu werden.

Aus meinen Erfahrungen in der Industrie (Vorträge, Ausstellungen und Workshops) sehe ich grosse Potentiale für sogenannte nichtwissenschaftliche Fächer, auch wenn sie in der derzeitigen Hochschullandschaft eher marginalisiert werden und eher auf Streichlisten denn auf Innovationsinitiativen zu finden sind. Ich schlage deshalb vor, im Rahmen einer Forschungsevaluation auch die Anwendbarkeit eines geläufigen Forschungsbegriffs auf ein künstlerisch-wissenschaftliches Fach zu überprüfen und eventuell einer Revision zu unterziehen.

Ich plädiere nicht für die Aufnahme in die rote Liste für bedrohte Arten, sondern dafür, den Begriff der Forschung um den Begriff der Wertschöpfung zu erweitern. Im Zusammenhang einer Ästhetisierung unserer Gesellschaft ist ästhetische Kompetenz ein Wettbewerbsvorteil, der nicht nur in den klassischen kreativen Fächern eine Rolle spielt, sondern sich durchaus auf Bereiche wie Wirtschaftswissenschaften, Maschinenbau und andere ausweiten ließe.

Ich konnte Aktivitäten in diesem Bereich durch meine dreijährige Dekanatstätigkeit nur am Rande verfolgen, stehe aber in Kontakt mit Unternehmensberatern, die an an einer Zusammenarbeit interessiert sind, und ich werde im Rahmen meines Forschungsfreisemesters dieses Thema weiter verfolgen. Ob Aktivitäten dieser Art dann als Teil eines Forschungsprojekts angesehen werden oder als genehmigunsgpflichtige Nebentätigkeit, entzieht sich meiner derzeitigen Kenntnis.

Prof. Eberhard Eckerle Hannover, 18.10.2000